Carolee Schneemann
Carolee Schneemann wurde 1938 als Carol Lee Schneiman geboren und wuchs in Fox Chase, Pennsylvania, USA, auf. Ihre Eltern, ihr Vater war Landarzt, förderten schon früh ihren natürlichen Zugang zu Körperlichkeit und Natur. Als Teenager besuchte Schneemann häufig das Philadelphia Museum of Art. In den späten 1950er Jahren wandte sie sich erstmals der Malerei zu, die zeitlebens ihr künstlerischer Motor bleiben sollte und für die sie ihre Mittel drastisch erweiterte. Sie war die erste Frau in ihrer Familie, die eine höhere Ausbildung absolvierte. 1955 erhielt sie ein Vollstipendium für das New Yorker Bard College, das sie mit einem Bachelor of Arts (B.A.) abschloss und änderte ihren Nachnamen - als Zeichen der Annahme einer neuen Identität - in Schneemann. Ein weiteres Stipendium ermöglichte es ihr, ihr Studium an der Columbia University fortzusetzen. 1962 schloss sie ihr Studium an der University of Illinois mit einem M.F.A.-Abschluss ab. Im selben Jahr zog Schneemann mit dem Musiktheoretiker und Komponisten James Tenney nach New York City, wo sie u. a. George Brecht, Malcolm Goldstein, Philip Glass, Terry Riley und Steve Reich kennenlernte. Durch ihre gemeinsame Freundschaft mit Stan Brakhage fand sie ihren Weg zum Experimentalfilm und zur Happening-Bewegung, wo sie mit namhaften Künstlern wie Claes Oldenburg, Merce Cunningham, John Cage und Robert Rauschenberg zusammentraf und Gründungsmitglied von Yvonne Rainers Judson Dance Theater wurde. Sie organisierte die legendäre Veranstaltung "A Journey through a Disrupted Landscape" (Eine Reise durch eine zerrissene Landschaft), bei der die Teilnehmer dazu eingeladen wurden, "zu kriechen, zu klettern, über Felsen zu gehen, zu kraxeln, zu rennen und durch Schlamm zu gehen", um den gesellschaftlichen Diskurs über Körper, Sexualität und Geschlechterrollen voranzutreiben. Sie begann, ihren eigenen Körper zu bemalen, erforschte auf radikale Weise den körperlichen Umgang mit Objekten, Materialien und Substanzen und gilt heute als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Körper- und Performancekunst.
Der künstlerische Erfolg ließ zunächst lange auf sich warten, auch weil Schneeman überwiegend performativ arbeitete und eher auf Festivals vertreten war. Fotografien, Videodokumentationen, Skizzen und Künstlernotizen dokumentieren ihr Werk. In den 1990er Jahren erfuhr die Fluxus-Bewegung eine Neubewertung. Schneeman wurde als zentrale Figur der feministischen Bewegung anerkannt und in mehreren Gruppenausstellungen gewürdigt. Im Jahr 1996 widmete das New Yorker New Museum of Contemporary Art der Künstlerin ihre erste Retrospektive, "Up To and Including Her Limits". Im Jahr 2001 zeigte das Cornerhouse in Manchester die Einzelausstellung "More Wrong Things". Im November 2015 zeigte das Museum der Moderne Salzburg eine umfassende Retrospektive des Werks der Künstlerin, "Carolee Schneemann. Kinetische Malerei", die vom Museum für Moderne Kunst in Frankfurt übernommen und anschließend im MoMA PS1 in New York gezeigt wurde. 1993 erhielt Schneemann ein Stipendium der John Simon Guggenheim Memorial Foundation, 2003 eine Eyebeam Residency und 2011 war sie United States Artists Rockefeller Fellow for Visual Arts. Im Jahr 2011 erhielt sie den The Women's Caucus for Art Lifetime Achievement Award. 2017 wurde sie mit dem Goldenen Löwen der Biennale Venedig für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Schneemann bezeichnete sich zeitlebens als Malerin und verstand ihre künstlerische Entwicklung als Erweiterung der visuellen Prinzipien über die Leinwand hinaus. Sie verstarb im Jahr 2019 in New York, USA.
Schneemann gilt als US-amerikanische Pionierin der feministischen Kunst der ersten Generation und wurde für ihre kompromisslosen Avantgarde-Performances international bekannt. Sie begann im Laufe der ersten Hälfte der 1960er Jahre mit der Produktion von Filmen, in denen sie nackt körperliche Interaktionen mit verschiedenen Stoffen, wie Fett, Kreide, Fell, Spiegel, Schnüre und Plastik betrieb und provokant Schlangen auf ihrem Körper kriechen ließ. Derart wurde sie dem Credo ihrer Zeit gerecht, das sich zu Ziel gesetzt hatte die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufzuheben und selbst Teil der Kunst zu werden. Ihr früher Film Werk „Eye Body“, 1963, wurde von der New Yorker Kunstkritik als unzüchtig und pornografisch bezeichnet. Im Gegenzug kritisierte Schneeman die ihrer Meinung nach vorherrschende Verwechslung von "Sinnlichkeit mit Pornografie“. Sie prangerte die patriarchalische Moral ihrer Zeit an und plädierte dafür, eine Freude an Körperlichkeit zuzulassen, die nicht explizit auf Sex ausgerichtet ist.
Die Sammlung der Generali Foundation enthält legendäre Filmwerke, darunter den Film "Meat Joy", 1964, inszeniert als improvisiertes Gruppenhappening, das an dionysische Rituale erinnert und einer "Feier des Fleisches als Material" (Schneemann) gleichkommt, uraufgeführt auf dem Festival of Free Expression, Paris. Mehr oder weniger bekleidete Personen hantieren und spielen mit verschiedenen Objekten, Materialien und Substanzen, darunter Hühnerkadaver, tote Fische, Würste, Papier, Blut, Ejakulat und nasse Farbe, und zelebrieren ihr Zusammenspiel als ekstatisch-opulentes Fest. "Fuses" von 1967 zeigt Schneeman und ihren damaligen Partner James Tenney beim Sex, aufgenommen mit einer 16-mm-Bolex-Kamera, beobachtet von ihrer Katze Kitch und derart - "objektiv", nach Meinung der Künstlerin -, weil unbeeinflusst von menschlichen Moralvorstellungen. Schneeman wollte herausfinden, inwieweit sich die Darstellung der eigenen sexuellen Handlungen durch eine Frau von der Pornografie und der klassischen Kunst unterscheidet. In der Postproduktion schnitt sie das Filmmaterial in verschiedenen Geschwindigkeiten, färbte und brannte Bilder ein und malte und zeichnete direkt auf das Zelluloid. Andere Filme in der Sammlung Generali Foundation, darunter "Viet-Flakes", 1965, "Water Light/Water Needle (Lake Mah Wah, NJ)", 1966, "Snows", 1976, "Body Collage", 1967, "Illinois Central Transposed", 1968-69, "Plumb Line", 1968-71, "Kitch's Last Meal (Composite)", 1973-78, und "Souvenir of Lebanon", 1983/2006, zeigen die künstlerische Entwicklung von den Anfängen bis 2006.
Ein weiteres herausragendes Werk der Sammlung ist "Fur Wheel", 1962 aus Schneemanns Gruppe kinetischer Arbeiten. Für dieses Wandobjekt wurde ein Lampenschirm mit Fell überzogen, an dem verbeulte Blechdosen hängen. Die Rotation der Negativform erzeugt zufällige Geräusche und eine Art optischen Sogeffekt. (Doris Leutgeb)