Mária Bartuszová
Mária Bartuszová wurde 1936 in Prag (damals Tschechoslowakische Republik, ČSR, heute Tschechische Republik, CZ) geboren. Die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte sie in Košice (heute Slowakei), nahe der Grenze zu Ungarn und der Ukraine. Sie absolvierte die Akademie für Kunst, Architektur und Design in Prag. Bartuszová gilt als eine der herausragendsten Vertreterinnen der zeitgenössischen Kunst in der Slowakei und wurde vor allem durch ihre innovativen plastischen Arbeiten bekannt. Sie hinterließ ein beeindruckendes Oeuvre von rund 500 Werken, darunter modellierte und gegossene Plastiken unterschiedlicher Größen, Wandinstallationen, freistehende Skulpturen und einige wenige monumentale Auftragswerke für den öffentlichen Raum. Heute wird Mária Bartuszová als eine innovative Schlüsselfigur in der Geschichte der slowakischen Kunst angesehen, deren Werke in den letzten Jahren zunehmend international anerkannt werden. 1967 wurde die Künstlerin zur ersten Triennale für slowakische Bildhauerei in Pieštany, SK, eingeladen. Ab den 1970er Jahren war Bartuszová Teil der internationalen Kunstszene und nahm an zahlreichen Ausstellungen teil, darunter 2009 Museum für Moderne Kunst Warschau, PL; 2009 Museum Moderner Kunst – Stiftung Ludwig Wien (mumok), AT; 2014 Sammlung Goetz, München, DE und Großveranstaltungen wie 2007 die documenta 12, Kassel, DE und 2022 die 59. Biennale von Venedig, IT.
2005 widmete die Slowakische Nationalgalerie, Bratislava, SK, Mária Bartuszová eine Einzelausstellung. Im Jahr 2022 organisierte die Tate Modern, London, GB, in Zusammenarbeit mit dem Museum der Moderne Salzburg, Österreich, eine Retrospektive, die 2023 in Salzburg als erste Ausstellung der Bildhauerin im deutschsprachigen Raum in erweiterter Form präsentiert wurde. Mária Bartuszová verstarb 1996 in Košice in der Slowakei.
Zu Beginn der 1960er Jahre wurde die politische Zensur in der Tschechoslowakei gelockert, wodurch in der Kunstszene eine Aufbruchstimmung entstand. In dieser Zeit unternahm Mária Bartuszová eine ganze Reihe von Materialexperimenten mit Gips und Ton. Sie entwickelte unkonventionelle Methoden und neue manuelle Techniken der Formfindung, darunter ein Verfahren, für das sie beispielsweise Luftballons, Plastikbeutel oder Kondome verwendete, in die sie flüssigen Gips goss und sowohl die Elastizität der Materialien als auch die Schwerkraft aktiv in ihren Gestaltungsprozess einbezog. Diese künstlerische Praxis nannte sie „Gravistimulation“. Das Ergebnis waren volle plastische Volumina, organisch anmutende runde Formen, die Bartuszová oft mit Kordeln „einschnürte“ oder „verschnürte“, wodurch der Eindruck von Fesselungen entstand. Harte Schnüre bilden einen unnachgiebigen Gegensatz zur ursprünglich weichen Plastizität des Materials. Sie üben einen physischen Druck aus, pressen den Gips zu allen Seiten der Schnürungen heraus und fixieren gleichzeitig die neu entstandene Form, die sich unter diesem Zwang verfestigt und erstarrt. Die Künstlerin reflektiert die besondere Perspektive einer Frau, die durch die Zwänge der Gesellschaft – in früheren Zeiten durch das Tragen enger Korsetts – im Gegensatz zu ihrer freien Natur gesellschaftlich gebunden ist. Charakteristisch für diese Werkgruppe ist eine klare, biomorphe Formensprache, die allgemein als Metapher für das Leben und das Wachstum der Natur gedeutet werden kann.
Seit den 1980er Jahren kehrte die Künstlerin diese Materialtechnik praktisch um, indem sie Gips nicht in, sondern über aufgeblasene Ballons goss, derart Negativabdrücke erzeugte und die Ballons dann platzen ließ. Durch das Implodieren der Ballons entstanden mitunter hauchdünne, zersplitterte Hohlräume, die Assoziationen an Fruchtbarkeit, Plazenten oder verlassene Eierschalen, zu Zerbrechlichkeit und Verletzbarkeit im Allgemeinen zulassen. Sie nannte diese künstlerische Praxis „Pneumatischer Guss“. In der Sammlung Generali Foundation befindet sich eines der wenigen erhaltenen und charakteristischen Werke aus den 1980er Jahren.
Die eigenständigen künstlerischen Techniken, die Maria Bartuszová fand, entsprechen der künstlerischen Neuausrichtung der europäischen Avantgardebewegungen ab den 1960er Jahren, für die das gattungsübergreifende und grenzüberscheitende Experimentieren mit unkonventionellen Materialien und Techniken und letztlich der künstlerische Herstellungsprozess selbst, zunehmend wichtiger werden als die vollendete Form.
Zentrales Thema von Bartuszová ist die Metamorphose – die ständige Umwandlung einer Gestalt, Struktur oder Form in eine andere als fortwährender Transformationsprozess, für den sich die Künstlerin den menschlichen Körper und Naturphänomene zum Vorbild nahm, die sich gegenseitig bedingen und einem ständigen Wandel unterliegen. In ihren Werken reflektiert Bartuszová persönliche Erfahrungen und Spiritualität vor dem Hintergrund ihres Interesses an Taoismus und Zen-Buddhismus, sowie die Zyklen des Lebens und der Jahreszeiten. Bartuszová studierte Schriften zu Psychoanalyse, Sozialpsychologie und Naturwissenschaften und interessierte sich für Verbindungen von wissenschaftlichen Theorien zu alten Traditionen. In ihrer künstlerischen Praxis erforschte sie das Spiel von Gegensätzen: flüssig und fest, weich und hart, organisch und kristallin, positiv und negativ und nutzte äußere Kräfte, Luft, Schwerkraft, Wasser und Druck zur Formfindung, sowie Licht und Schatten, um die räumliche Wirkung ihrer Plastiken zu verstärken.
Im Jahr 1964 trat Bartuszová der lokalen Künstlergewerkschaft bei. Dadurch konnte sie sich für öffentliche, staatlich finanzierte Aufträge bewerben, um sich eine Einkommensquelle und Lebensgrundlage zu schaffen. In den 1960er- und 1970er-Jahren erhielt sie die Möglichkeit eine Anzahl von monumentalen Außenskulpturen im öffentlichen Raum zu schaffen, darunter Denkmäler, Spielplätze und einige Brunnen für die sie Steine aus der Hohen Tatra (Gebirge in der heutigen Slowakei) mit Bronze kombinierte. Ab Mitte der 1960er-Jahre entwickelte Mária Bartuszová mehrteilige puzzleartig zusammengesetzte Metallarbeiten, die in einzelne Segmente geteilt und intuitiv wieder zusammengesetzt werden können. Der Kunsthistoriker Gabriel Kladek veranstaltete 1976 und 1983 mit diesen besonderen Werken der Künstlerin kunsttherapeutische Workshops für blinde oder sehbeeinträchtigte Kinder und dokumentierte deren tastende Interaktionen fotografisch als Beispiele integrativer und partizipativer Erfahrung mit Kunstwerken von Mária Bartuszová. (Doris Leutgeb)