Samuel Fosso
Samuel Fosso wurde 1962 in Kumba, Kamerun geboren. Er entstammt einer nigerianischen Familie und wuchs in der Region Biafra im Südosten Nigerias auf, wo Volksgruppen 1967 unter der Führung der Igbo ihre Unabhängigkeit von Nigeria erklärten. Der Ausbruch ethnischer Konflikte mündete in einen Bürgerkrieg, der 1970 mit der Wiedereingliederung Biafras in Nigeria enden sollte und vor dem der Fünfjährige zu einem Onkel in die Zentralafrikanische Republik flüchtete. In Bangui absolvierte er eine Lehre bei einem ortsansässigen Fotografen und wurde dessen Assistent. Bereits mit 13 Jahren machte sich Fosso 1975 als Porträtfotograf kommerziell selbständig und eröffnete sein eigenes Fotostudio. Als Künstler ist Samuel Fosso Autodidakt. Führende afrikanische Fotografen, wie Malick Sidibé und Seydou Keïta erkannten früh die Qualität von Fossos Arbeit und motivierten ihn, diese fortzusetzen. Okwui Enwezor und Iké Udé förderten seine künstlerische Tätigkeit und eröffneten ihm das internationale Kunstfeld. Er lebt in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik und in Paris, Frankreich.
Im Jahr 1994 gewann er den ersten Preis der African Photography Encounters (Rencontres de la Photographie) dem bedeutendsten Festival dieser Art in Bamako, Mali, und 1995 den Prix Afrique en Creations; im Jahr 2000 zeichnete ihn die Dak'Art – Biennale de l'Art Africain Contemporain, Dakar, Sénégal mit dem ersten Preis in der Kategorie Fotografie aus; die Niederlande verliehen ihm 2001 den Prince Claus Award und 2010 wurde ihm der ersten Preis der Visual Arts Prins Bernhard Cultuurfonds zuerkannt. Seine Werke befinden sich in den Sammlungen des MoMA, New York, USA, der Tate, London, GB, in The Museum of Fine Arts, Houston, USA, der Walther Sammlung, Neu-Ulm, D und in der Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg, das ihm 2022 die erste große Retrospektive im deutschsprachigen Raum widmete.
Samuel Fosso ist einer der bedeutendsten Fotografen Afrikas. Bekannt wurde er für das Genre der Portraitfotografie. Alle Aufnahmen zeigen seine eigene Person und erzählen eine Geschichte. Diese Selbstportraits, in denen er Identität als allgemeines kulturelles Konstrukt hinterfragt und durch individuelle Repräsentation bis hin zu queerer Selbstinszenierung überwindet, wurden zum Markenzeichen.
Tagsüber fertigte er in den 1970er Jahren traditionelle Studiofotografien seiner Kund_innen mit dem Anspruch an, die Individualität seines Gegenübers möglichst unverfälscht und realitätsgetreu einzufangen. Abends nutzte er das Fotostudio als Ort der performativen Selbstinszenierung. Mit dem Rest des in seiner Kamera verbliebenen, unbelichteten Films schoss er unkonventionelle Portraitfotos von sich selbst. Diese frühen schwarz-weiß-Fotografien dokumentieren den Prozess der Selbsterfahrung des Jugendlichen in der Zeit des Erwachsenwerdens. Fosso begreift seine Identität als selbstbestimmbar und erzeugt verschiedene Facetten seiner Person als autonome Statements. Damit konterkarierte er die Typenfotografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die europäische Kolonialisten als quasi objektives Dokumentationsmittel ihres positivistischen Wissenschaftsverständnis dazu verwendeten, anthropometrische Fotografien von „typischen Vertreter_innen“ eines bestimmten Volkes oder einer Ethnie anzufertigen. Der Schritt, den Fosso setzte, selbst vor die Kamera zu treten, bedeutete den Wechsel der Seiten und Perspektiven. Durch die konsequente Verwendung des Selbstauslösers behielt er stets die Kontrolle über das Bild, das er von sich erschuf. Im Spiegel der Kamera erprobte er mit Kostümierungen und Requisiten unkonventionelle Posen und unterschiedliche Geschlechteridentitäten. Fototapeten und Stoffbahnen legen das Studioambiente und die Methode der Inszenierung offen. Abwechselnd posierte Fosso in europäischer Anzugmode, traditionelle afrikanische Kleidung, Marineuniform, Karateanzug, Boxershorts, gängiger Alltagskleidung und extravaganter Mode, die er mit Schmuck und Accessoires ergänzt. Als Inspiration diente ihm die Tradition der Igbo für Maskerade und Körperkunst, die er in den Zeitgeist der Jugendkultur der 1970er Jahre hob, die Werbung, Lifestylemagazine und Vertreter populärer westafrikanischer Musik. Aus Furcht vor politischen Repressionen hielt der Künstler diese Fotos zunächst verborgen.
Seine Wandelbarkeit führte ihn zu einer fotografischen Ästhetik, die er eigeständig und parallel zu Cindy Sherman (1954 New Jersey, USA – New York, USA) entwickelte. Shermans Selbstportraits sind konzeptuelle Inszenierungen einer Auseinandersetzung mit Fragen zu Identität, Rollenbildern und Körperlichkeit. Sie verkleidet sich ähnlich wie Fosso in Menschen unterschiedlichen Alters, Hautfarbe, sozialer Herkunft und historischen Zeiten, stellt Klischées, Typen und Stereotypen provokativ nach und legt den Sexismus eines männlichen Blicks kritisch offen. Fosso unterscheidet sich davon durch ein spirituelles Moment, welches der künstlerischen Herangehensweise Shermans fehlt. Es gründet, zusammen mit seiner Leidenschaft für Kostümierung auf seiner Abstammung von den Igbo, die buntfarbene Kleidung und Masken für lebensfrohe Darbietungen verwenden, in denen sich die Lebenden mit ihren Vorfahren verbinden. Nach ihrer Vorstellung greifen sichtbare und unsichtbare Kräfte in unserer Welt ineinander und schaffen eine Wirklichkeit, in der die Lebenden mit den Geistern der Verstorbenen nicht nur eng verbunden sind, sondern interagieren, wodurch Ahnen ermächtigt werden können, an der Gegenwart teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund schwingt der Gedanke mit, dass der Künstler 2008 vierzehn Ikonen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung aus Afrika und Nordamerika, die für Gleichberechtigung, Unabhängigkeit und Freiheit der schwarzen Bevölkerung kämpften, zu seinem Thema machte, um quasi als Medium den Geist ihrer zentralen Anliegen lebendig zu halten. International bekannt wurde diese großformatigen schwarz-weiß-Serie unter dem Titel African Spirits. Fosso tritt uns in diesen Fotografien unter anderem als die Politiker Nelson Mandela und Patrice Lumumba, die Bürgerrechtler_innen Angela Davis, Malcolm X und Martin Luther King und die Sportler Muhammad Ali und Tommie Smith gegenüber. Vorexistierendes Fotomaterial, Schnappschüsse, Pressebilder, Fahndungsfotos und professionelle Fotoportraits dienten ihm als Vorlage. (Doris Leutgeb)