Ich glaubte Gefangene zu sehen

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© Sammlung Generali Foundation - Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg, Foto: Werner Kaligofsky

Harun Farocki

Ich glaubte Gefangene zu sehen, 2000

Zwei-Kanal Videoinstallation schwarz-weiß und Farbe, Ton, 25 min (Loop) Dimensionen variabel, Projektionsflächen ca. à 150 x 200 cm Regie: Harun Farocki Kamera: Cathy Lee Crane Produktion: Harun Farocki Filmproduktion, Generali Foundation (Portugisische Version, 2001: Pensei que estava a ver Prisinoairos) (Spanische Version, 2006: Pensabla Que Veia Presidiarios)

GF0002112.00.0-2000

Werktext

"Ich glaubte Gefangene zu sehen", sagt Ingrid Bergmann in Rossellinis Europa 51, nachdem sie für einen Tag den Arbeiterinnen in eine Fabrik gefolgt ist. Am Ende des Films wird sie in eine geschlossene Anstalt gesperrt … Bilder aus dem Maximum-Security-Gefängnis in Corcoran, Kalifornien. Die Überwachungskamera zeigt einen tortenstückförmigen Ausschnitt, den betongedeckten Hof, auf dem die Gefangenen eine halbe Stunde am Tag verbringen können. Ein Häftling greift den anderen an, worauf die Unbeteiligten sich sogleich flach auf den Boden legen, die Arme über dem Kopf. Sie wissen, was jetzt kommt: Der Wärter wird eine Warnung rufen und danach eine Gummimunition abfeuern. Hören die Häftlinge mit dem Kampf jetzt nicht auf, schießt der Wärter scharf. Die Bilder sind stumm, vom Schuss zieht der Pulverrauch durch das Bild. Die Kamera und das Gewehr sind gleich nebeneinander, Blickfeld und Schussfeld fallen zusammen. Es ist zu erkennen, dass der Hof in der Form eines Kreissegments errichtet wurde, damit es an keiner Stelle Schutz vor dem Blick oder der Kugel geben kann. Ein Häftling, meistens derjenige, der angegriffen hat, bricht zusammen. Verletzt, schwer verletzt, manchmal tödlich … Wärter aus Corcoran haben ausgesagt, dass sich manchmal Gefangene aus rivalisierenden Gangs (”Mexican Mafia”, ”Aryan Brotherhood” etc.) auf dem Pausenhof zusammengeschlossen und auf den Ausgang der Schlägerei Wetten abgeschlossen haben. Die Kamera, die auf Ereignisse lauert, ist so anachronistisch wie das Gewehr. Die Sträflinge sind fast nackt (sie trainieren ständig ihre Muskeln) und haben nichts außer ihrer Clanzugehörig-keit. Ihre Ehre ist ihnen wichtiger als ihr Leben. Das Gefängnis erzeugt hier den Tribalismus. Auch die Unterhal-tungsindustrie befördert gerne den Tribalismus, von dem sie die Eigenschaftswörter ableitet. Die Bekleidungsindustrie liefert dazu die Markenzeichen … Dieses Bild von den Häftlingen, die sich prügeln, obwohl sie wissen, dass man auf sie schießen wird – sie sehen aus wie Gladiatoren – und der Pausenhof wie eine Arena. Allerdings fehlen die Zuschauer. Nur die Kamera ist in der Position des Römischen Stadtproletariats, das mit solchen Kämpfen und Tötungen bei Laune gehalten werden soll. Auf den kalifornischen Gefängnishöfen wird heute nicht mehr erschossen. Statt eines Gewehrs haben die Wärter heute einen scharfen Wasserstrahl, dem Chemikalien beigemengt sind, die die Kämpfenden nach Sekunden kampfunfähig machen. Mit diesem Wasserstrahl wird verwischt, wofür die Häftlinge zuvor gestorben sind. Es ist heutzutage auch fast unmöglich, nachträglich festzuhalten, wofür ein Krieg angefangen wurde. (Harun Farocki)

Leihgeschichte
2014 Mexico City, MX, Museo Universitario Arte Contemporaneo (MUAC) 2013 Oldenburg, DE, Edith Rusz Medienhaus 2011 Melbourne, AUS, Gertrude Contemporary 2011 Glasgow, GB, Center for Contemporary Art (CCA) 2011 Metz, F, Centre Pompidou Metz 2010 Breda, NL, Breda Photo Festival 2009 Paris, F, Galerie nationale du Jeu de Paume 2009 Zagreb, CRO, Film-Protufilm 2008 Nottingham, GB, Nottingham Contemporary 2007 New York, NY, USA, Austrian Cultural Forum New York 2006 Madrid, ES, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia (MNCARS) 2006 Sevilla, ES, BIACS 2 2003 New York, NY, USA, International Center of Photography (ICP) 2003 Toronto, CA, Art Gallery of Ontario 2002 Dresden, DE, Hochschule für bildende Künste 2002 Prag, CZ, Foundation and Center for Contemporary Arts Prague (FCCA) 2002 Hamburg, DE, Kunsthalle 2001 Osnabrück, DE, European Media Art Festival (EMAF) 2001 Gent, BE, SMAK Museum for Contemporary Art 2001 Austin, TX, USA, Cinematexas International Short Film Festival 2001 Brüssel, BE, constant vzw 2001 Münster, DE, Westfälischer Kunstverein 2000 Berlin, DE, Kunst-Werke 2000 Duisburg, DE, Filmwoche 2000 Porto, PT, Centro Cultural de Bélem 2000 Rotterdam, NL, Museum Boijmans van Beuningen