Dan Graham
Dan Graham wurde 1942 in Urbana, Illinois, geboren und zog Anfang der 1960er Jahre nach New York, wo er 1964 mit Freunden die John Daniels Gallery gründete, in der u. a. Dan Flavin und Sol Le Witt ausstellten. Graham leitete die Galerie bis zu ihrer Schließung im Jahr 1965 und begann bald darauf, selbst künstlerisch tätig zu werden.
In seinem vielfältigen Werk, das neben Essays über Kunst, Architektur und Rockmusik auch Film, Performance, Video und Architektur umfasst, erforscht er die individuelle Wahrnehmung im sozialen Raum. Dabei bezieht er sich stets auf konkrete Elemente der Alltagskultur und verbindet spielerisch minimalistische Formen mit trockenem Humor. Dan Graham nahm seit den 1970er Jahren an nahezu jeder wichtigen Ausstellung teil und zählt zu den einflussreichsten Künstlern seiner Generation. Er verstarb 2022 in New York, USA.
Seine ersten konzeptuellen Arbeiten wie "Figurative" (1965) oder Schema (1966), veröffentlichte er als Anzeigen in Zeitschriften, in der Absicht, den Kreislauf von Anerkennung und Veröffentlichung von Kunst kurzzuschließen. Darunter auch sein legendärer Foto-Text-Essay "Homes for America" (1966), eine Dokumentation und Analyse der Architektur von Vorstädten. In Filmen wie "Roll" und "Body Press" (1970) sowie Performances wie "Performer/Audience/Mirror" (1975) setzte Graham sich, beeinflusst von psychoanalytischen Überlegungen, mit der Wahrnehmung von Raum und Zeit und dem Bewusstsein von Körperlichkeit und medialer Interaktion auseinander. Dan Grahams Werk ist auch durch seine Teilnahme an der Musik- und Popkultur geprägt, von der Zusammenarbeit mit MusikerInnen wie Glen Branca oder Sonic Youth bis zu Videos wie "Rock My Religion" (1982-84). Mit "Public Space/Two Audiences" (1976) für die Biennale di Venezia begann seine konkrete Arbeit im Bereich der Architektur, die schließlich zur Serie seiner Pavillons führte.
Sein "New Design for Showing Videos" (1995), das er für die Generali Foundation konzipierte, ermöglicht die Präsentation von Videos im Ausstellungsbereich unter Einbeziehung von gruppendynamischen Aspekten. Neben weiteren Werken mit und über Architektur versammelt die Generali Foundation auch Grahams Filminstallationen und Videos. (Monika Vykoukal)
Film und Performance. Sechs Filme 1969-1974
Eine fotografische Aufnahme ist eine Abmessung ihres eigenen Ortes. Die Position einer aufnehmenden Kamera reflektiert ihre Ausrichtung innerhalb eines Raumes von 360°. Diese ihre Ausrichtung, die sich dann als aufgenommenes Bild zeigt, verbindet die rechtwinkelige frontale Peripherie der Kamera mit dem spiegelverkehrten Ausschnitt aus dem sie umgebenden Raum von 360°: Auf diesen Ausschnitt richtet sich die Kamera frontal, um die verschiedenen, nächstliegenden lichtreflektierenden Oberflächen aufzuzeichnen. (Fotografisch gesehen, definiert reflek-tiertes Licht ausgefüllten Raum.) In einem Film werden Serien von Bildern, die als Abfolgen in der Vergangenheit aufgenommen wurden, auch wieder als Abfolgen projiziert auf eine flache, rechtwinkelige Oberfläche, die sich in einer bestimmten Entfernung von den Augen der Betrachter befindet. Dies ist eine Ebene, die parallel und spiegelverkehrt auf Augenhöhe zur frontalen Körperorientierung des Betrachters liegt.
Der Sucher einer Filmkamera befindet sich vor dem Auge des Filmers, um das Bild, das der Betrachter später auf der Leinwand sieht, mit der Wahrnehmung der Welt durch den Filmer in der Zeit der Aufführung selbst identisch werden zu lassen. Der Betrachter kann dieses Bild auch mit dem Auge seines eigenen Bewusstseins identifizieren. Das Objektiv und die Oberfläche der Kamera, ihre Bewegung und ihre räumliche Orientierung sind das vermittelnde Moment zwischen der Präsenz des Filmemachers und der Wahrnehmung des Betrachters. Wird eine Kamera auf einen anderen Teil der Körperoberfläche des Filmenden gehalten oder innerhalb seines Sehfeldes bewegt, so kann sie zu einem Element seines physiologischen Feedback-Systems werden. Die Identität einer Kamera kann, in Beziehung zur Wahrnehmung des Betrachters, Teil des Filmenden werden, kann ein Teil von ihm sein, nicht jedoch gleichzeitig ein anderer Teil, oder aber sie kann auch nicht Teil von ihm sein (son-dern lediglich ein eigenständiges mechanisches Objekt). Das von dieser Kamera aufgenommene Bild kann sowohl als innerhalb wie auch als außerhalb des Filmenden befindlich gelesen werden oder als beides gleichzeitig, innerhalb und außerhalb des Filmenden simultan erscheinend als Subjekt und als Objekt.
Phänomenologisch gesprochen, sind die Kamera (ihre Darstellungen) und die Wahrnehmung des Betrachters der Vermittlungspunkt zwischen allen Elementen des visuellen Bewusstseins, wenn Bewusstsein zum Teil als äußerlich verstanden wird (als das im Objekt angelegte, das im Gesehenen nachgeahmt wird); zum anderen Teil als innerlich (angelegt im zentralen Nervensystem oder dem Prozess der Wahrnehmung, der gemeinsam mit den Muskel- und Skelett-Systemen des Körpers die Orientierungen in der Welt leistet).
Das Sehfeld ist örtlich festgelegt durch das Bild der Netzhaut, das die Nase des Körpers, die Hände, die Füße und die vordere Hälfte der zylindrischen Hülle des Körpers wiedergibt, wie sie allesamt in den konkaven, größeren Teil des Raumes, der sie umgibt (360°), vordringen, der als Raum wiederum die zylindrische Hülle/Höhlung des Körpers ist, eine Art ”Zwischensicht” zwischen der sichtbaren Welt (außen) und dem zylindrischen Gesichtsumkreis des Körpers (innen), der seinen je spezifischen Umraum von 360° an sich findet.
Raum kann nur wahrgenommen werden durch die Bewegung der Augen des Betrachters oder durch den Ort seines Körpers in der Zeit. Das Sehfeld des Kameramannes bewegt sich in einer Topologie der räumlichen Ausdehnung, des Zusammenziehens oder der Wendung, wenn er seine Augen oder seinen Ort in Bezug auf die ihn umgebende visuelle Welt verändert (diese selbst befindet sich in einem beständigen Prozess der Veränderung, wenn auch gemeinhin in einem langsameren Zeitmaß).
Visuelle Wahrnehmung ist der räumlichen Wahrnehmung parallel koordiniert im Prozess der Orientierung auf einen Zielpunkt. In meinen Filmen ist die Wahrnehmung des Filmenden gleichwertig mit dem, was von der vorderen Ebene der Kamera und ihrer optischen Oberfläche gesehen wird; damit entspricht die frontale Fläche der Kamera genau der Richtung der Wahrnehmung des Filmenden in Raum und Zeit und nimmt nur das auf, worauf sie sich ausrichtet. Der Prozess der physiologischen Orientierung und der Prozess der Wahrnehmung des Filmenden stehen in genauer Korrelation zum Prozess der Wahrnehmung des Betrachters. (DG)